Was gibt denn Proteinen diese vielgenannte Kraft?

Proteine spiegeln das Verwirrungspotenzial des Themas Ernährung wieder, wie keinen zweiter Nährstoff. Es ranken sich Mythen über Ernährungsweisen von Low-Carb bis Atkins-Diät. Vom Streitthema des Proteinbedarfs für Kraftsportler ganz zu schweigen. Und können vegetarisch lebende Personen ihren Proteinbedarf überhaupt rein pflanzlich decken? Gerüchte und Mythen entstehen, weil im Internet viele Artikel ohne wissenschaftliche Belege veröffentlicht werden. Wir wollen euch diesbezüglich einen grundsätzlichen, wissenschaftlich basierten Überblick geben. Woraus bestehen Proteine? Was nützen sie uns? Was macht das Protein aus Hanf so besonders? Dabei gehen wir teilweise etwas näher ins Detail, als manche vielleicht interessiert. Dann kann aber jeder selbst entscheiden, wie genau er es wissen möchte. Wir hoffen viele Fragen beantworten zu können.

Eiweisse setzen sich zunächst aus langen Ketten von Aminosäuren (=AS) zusammen und sind Bestandteil jeder Zelle des Organismus. Momentan sind mehr als 100 Aminosäuren bekannt, wovon lediglich 20 für den Proteinaufbau genutzt werden. Diese bezeichnet man als proteinogene Aminosäuren. Ihre Hauptaufgabe liegt im Aufbau und der Erneuerung von Zellen in Muskeln, Organen, Sehnen, aber auch Nägeln und Haaren.

Unter den 20 AS befinden sich 9 essentielle, welche der Körper nicht selbst herstellen oder aus anderen Aminosäuren aufbauen kann. (Biesalski, 2004)

Nicht oder semi-essentielle AS:

  • Arginin
  • Ornithin
  • Asparaginsäure
  • Prolin
  • Cystein
  • Serin
  • Glutaminsäure
  • Taurin
  • Glutamin
  • Tyrosin
  • Glycin

Essentielle/unentbehrliche AS:

  • Histidin
  • Phenylalanin
  • Isoleucin
  • Tryptophan
  • Leucin
  • Threonin
  • Lysin
  • Valin
  • Methionin

Neben essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren unterscheidet man auch noch in semiessentielle AS. Sie nehmen eine Sonderstellung ein, da sie unter bestimmten Bedingungen unentbehrlich sind, das heisst nicht ausreichend selbst synthetisiert werden können. So sind beispielsweise Arginin und Serin bei starker Erkrankung oder im Säuglingsalter essentiell.

Im körperlichen Normalzustand müssen sie nicht über die Nahrung zugeführt werden. Andere AS werden erst bei unzureichender Zufuhr an essentiellen AS selbst essentiel, da sie sich eigentlich aus anderen synthetisieren lassen, wie zum Beispiel Cystein aus Methionin.

Neben dem Zellaufbau kommen AS aber noch andere Aufgaben zu. Bei unzureichender Kohlenhydratzufuhr werden sie beispielweise als Energiequelle genutzt. Des Weiteren dienen Proteine als Ausgangssubstanz für Neurotransmitter und biogene Amine.

Bei der Zersetzung der Proteine entsteht unter anderem Ammoniak, was für den Körper einen Giftstoff darstellt und deshalb ausgeschieden werden muss. Dazu wird Ammoniak in Harnstoff umgewandelt, welcher über unsere Nieren aus dem Blut herausgefiltert werden kann und mit dem Urin den Körper verlässt.

Da ein erhöhter Eiweisskonsum auch mit einer höheren Beanspruchung der Nieren einhergeht, ist es naheliegend, dass Personen mit ungünstiger genetischer Disposition oder persönlicher Vorgeschichte auf eine optimale Proteinzufuhr achten sollten.

Wie weiter oben bereits erwähnt, bildet Eiweiss den Baustoff für Zellen. Wenn kein Eiweiss zur Verfügung steht, können Zellen nicht wachsen bzw. sich erneuern. Das ist auch der Grund, warum Hochleistungssportler mehr Eiweiss zu sich nehmen. Sie wollen dadurch das Muskelwachstum unterstützen und anregen.

Um das Wachstum regulieren zu können, bedient sich unser Organismus eines Steuermoleküls namens mTOR. Es befindet sich in den Zellen des menschlichen Körpers und ist Beobachter der Nahrungs- und Energiesituation (Zoncu et al 2011; Laplante & Sabatini, 2012).

Eine Studie hat auf Grund dieser Erkenntnisse weiblichen Mäusen jeweils 20.000 Krebszellen eingesetzt und sie daraufhin entweder auf eine eiweissreiche oder –arme Diät gesetzt. Der Ansatz dahinter ist denkbar einfach. Je mehr Energie in Form von Eiweiss zugeführt wird, desto mehr Baustoff ist vorhanden, desto aktiver kann mTOR Wachstumssignale senden. Dabei wird vom Körper nicht zwischen normaler, ungefährlicher Zelle und Krebszelle unterschieden. Und auch bei Menschen bilden sich im Laufe des Lebens spontan Krebszellen. Jedoch entwickelt sich daraus nicht automatisch ein Tumor. Deshalb wollte das Forschungsteam testen, ob Ernährung einen signifikanten Einfluss auf die fortlaufende Entwicklung der eingesetzten Krebszellen hat. Nach 18 Tagen proteinreicher Ernährung hatte sich bei allen Mäusen ein Tumor gebildet. In der Vergleichsgruppe, welche auf eine eiweissarme Ernährung gesetzt wurde, konnte die Ausbildung eines Tumors bei 30% verhindert werden. Und das trotz der gewaltigen Anzahl an eingesetzten Krebszellen (Levine et al., 2014).

Das Beispiel soll weder Proteine im allgemeinen, noch mTOR in ein schlechtes Licht rücken, da wir beides zum Leben brauchen. Es soll nahelegen, dass der optimale Eiweissbedarf nicht für alle gleich ist. Je nach Lebenssituation und Genetik sollte er individuell angepasst werden. Es gibt jedoch einen ungefähren Richtwert, an dem man sich orientieren kann.

Ist pflanzliches Eiweiss schlechter als tierisches?

Jaein. Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Das liegt an den grundlegenden Unterschieden zwischen den Eiweisslieferanten. Auf der einen Seite kommen pflanzliche Eiweisse oft in gesünderen Gesamtpaketen. Pflanzliche Lebensmittel enthalten entweder allgemein weniger oder wenn überhaupt, dann gesunde, ungesättigte Fettsäuren. Ausserdem sind sie meist ballaststoffreich und enthalten sekundäre Pflanzenstoffe. Bei tierischem Eiweiss ist eher der Anteil an gesättigten Fettsäuren hoch. Cholesterin befindet sich des Weiteren nur in tierischen Quellen. S.133 ff leitzmann

Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass Lebensmittel tierischen Ursprungs oft proteinreicher sind und eine höhere Eiweissqualität aufweisen können. Damit fällt es leichter den täglichen Bedarf von circa 0,6 – 0,8 g pro kg Körpergewicht zu decken. Bei einer Annahme von 0,8 g Eiweiss pro kg Körpergewicht, sollte eine normalgewichtige 70kg schwere Person 56g Eiweiß pro Tag aufnehmen (Biesalski et al , 2010). Die empfohlene Zufuhrmenge ergibt sich aus dem täglichen natürlichen Eiweißverlust von circa 0,3g/kg und Aufnahmeverlusten während des Verdauungs- und Resorptionsprozesses von circa 10%.

Tierisches Eiweiss weist also meist eine bessere Qualität des Eiweisses auf. Was steckt hinter dem Wort Qualität? Sie wird in Form des PDCAAS („Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score“) angegeben. Zur Berechnung werden die wahre Verdaulichkeit des Proteins und das Verhältnis zwischen den im Lebensmittel enthaltenen mit den für den menschlichen Bedarf benötigten Aminosäuren berücksichtigt. Es ist sozusagen ein Index dafür, wie wertvoll das vorhandene Eiweiss ist bzw. wie gut es umgesetzt werden kann.

Der Grund warum pflanzliche Eiweisse eine geringere Qualität aufweisen liegt meist im schlechteren Verhältnis der Aminosäuren begründet. Diejenige AS, welche das niedrigste Verhältnis im Vergleich zum menschlichen Bedarf aufweisen kann, wird als limitierende AS definiert und fliest als einzige in die obere Formel mit ein. Durch die Multiplikation mit der wahren Verdaulichkeit ergibt sich der PDCAAS.

Und warum wird nur eine einzige Aminosäure für die Berechnung berücksichtigt?

Die Antwort beruht auf der Idee des Minimumprinzips.

Abbildung 1: https://de.wikipedia.org/wiki/Minimumgesetz#/media/File:Minimum-Tonne.svg

Abbildung 1 veranschaulicht die Idee hinter dem Minimumprinzip. Es kommt weniger darauf an, wie lang die längste Dohle ist bzw. äquivalent dazu, welche Aminosäure das beste Verhältnis aufweist. Allein das schwächste Glied ist entscheidend dafür, wie voll das Fass gefüllt werden kann, ohne dass Wasser austritt. Auch ein höheres Fass (bessere Verhältnisse der Aminosäuren) können in diesem Fall nicht dazu beitragen, das Protein wertvoller zu machen bzw. das Wasser später austreten zu lassen. Wenn das schlechteste Verhältnis entsprechend gering ist, sind die anderen „besseren“ Verhältnisse zu vernachlässigen/werden trivial.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der PDCAAS – Wert also ein Indiz dafür ist, ob das im Lebensmittel enthaltene Eiweiß auch in diesem Umfang aufgenommen werden kann. Ein niedriger Wert von 0 bedeutet, dass das Eiweiß überhaupt nicht aufgenommen werden kann, wohingegen 1,00 die beste Verwertbarkeit wiederspiegelt. Tierisches Eiweiss ist oft höherer Qualität, als pflanzliches Eiweiss, da die enthaltenen Aminosäuren eher denen des menschlichen Bedarfs entsprechen und sie besser verdaut werden können.

Wie hoch ist der PDCAAS von Hanf? Lässt sich der PDCAAS erhöhen?

Ein großer Vorteil des Hanfeiweiss liegt in den Proteinarten, aus welchen es sich zusammensetzt. Edestin macht mehr als 65% aus und wird als sehr gut verdaubares Protein angesehen. Auch Albumin, welches den größten restlichen Anteil einnimmt, ist gut verdaulich. Die Proteine können wasserunlösliche Stoffe binden und sie so im Medium Blut transportfähig zu machen.

Edestin ist hingegen besonders bei der Bildung von Immunglobulinen von Bedeutung (Herer & Bröckers, 2000). Der Wert der wahren Verdaulichkeit von Hanf beträgt bis zu 0,97. Er ist, wie auch der PDCAAS von Hanfprodukten bei geschälten Hanfsamen am höchsten (0,66). Der Wert ist für ein unbehandeltes pflanzliches Protein bereits recht gut ist (siehe Tabelle 1), jedoch noch verbesserungswürdig, wenn man das optimale aus der Hanfnuss rausholen will. Das Beispiel des Soja Isolats legt nahe, dass man bei entsprechender mechanischer oder chemischer Bearbeitung auch den Eiweissgehalt von Hanfpulver enorm steigern könnte. In allen Hanfprodukten bildet Lysin die limitierende AS.

Das Gute daran ist, dass sich der PDCAAS nicht nur auf ein Lebensmittel bezieht, sondern auf die gesamte Mahlzeit. Durch eine gezielte Kombination mit z.B. lysinreichen Lebensmitteln (beispielsweise Hülsenfrüchte), erhöht sich der PDCAAS, da Hülsenfrüchte den Lysinmangel, sprich die limitierende AS von Hanfprodukten, ausgleichen können. Sie sind zwar arm an Methionin und Cystein, jedoch ist Hanf darin wiederrum sehr reich, woraus sich eine Symbiose ergibt. Ein geschickt zusammengesetztes Essen macht es also möglich, den geringeren PDCAAS- Wert von pflanzlichem Eiweiss aufzuwerten, sodass es qualitativ auf der Höhe des Tierischen ist. (Callaway, 2004) & (House, et al., 2010). Weiter unten befindet sich diesbezüglich auch noch ein praktisches Beispiel.

Anbei ein paar konkrete Beispiele mit Lebensmitteln, die sich in ihrem Aminosäureprofil gut ergänzen.

  • Hülsenfrüchte und Getreide (z.B. Linseneintopf mit Vollkornbrötchen)
  • Getreide und Milch (z.B. Brot mit Käse, Milchreis)
  • Ei und Soja (z.B. Sojasprossenomlett)
  • Kartoffeln und Milch (z.B. Pellkartoffeln mit Kräuterquark)
  • Kartoffeln und Ei (z.B. Kartoffelauflauf mit Ei)

Tabelle 1 gibt ausserdem einen Überblick über den Eiweissgehalt von Lebensmitteln inklusive ihres PDCAAS – Wertes.

  PDCAAS Eiweissgehalt pro 100 g
Ei 1,00 12,8
Reis 0,60 6,8
Soja-Isolat 1,00 bis zu 80
Rindfleisch      0,92 circa 20
Haferbrei 0,82 11
Tofu 0,56 14
Hanfsamen 0,66 25
Erdnüsse 0,52 24
Erbsenprotein-Isolat 0,89 bis zu 80
Kichererbsen 0,78 21
Linsen 0,52 24 – 27
Bohne 0,41 bis zu 22
Weizen 0,40 10

Beispiel für die Berechnung des PDCAAS

Abschliessend geben wir zur Veranschaulichung hier noch ein konkretes Beispiel, wie sich der PDCAAS eines Lebensmittels durch die Kombination mit anderen Zutaten verbessern lässt. Die Mahlzeit besteht aus Getreide, Kichererbsen und Milchpulver, welche auf der linken Seite mit ihren englischen Übersetzungen (Wheat, Chickpea, Milk powder) beschrieben werden. Der Lysingehalt von Getreide ist mit 25 mg/g Protein eher gering (orangener Kreis 1). Das beweist der Vergleich mit der im Referenzprotein enthaltenen Menge für die jeweilige Altersklasse (rote Kreise).

Angenommen man will die Eiweissqualität von Getreide berechnen für Babys (0-5 Jahre) berechnen. Dann bezieht man sich auf die Referenzmenge von 0,57 mg Lysin pro g Protein. Also 0,25 mg / 0,57 mg = 0,43 mg. Diesen Wert müsste man mit der wahren Verdaulichkeit multiplizieren, was den PDCAAS als Ergebnis hätte.

Durch die Zugabe von Kichererbsen und Milchpulver erhöht sich der Gesamtlysingehalt des Gerichts auf im Schnitt 44 mg/g Protein (orangener Kreis 2), da sie im Vergleich viel mehr Lysin pro g (70 und 80 mg/g) besitzen. Dafür wird die Menge an Gesamtprotein jeder Zutat berechnet (AxBxG/100) und mit der Menge der jeweiligen AS pro g multipliziert (orangener Kreis 1). Abschliessend wird der Durschnitt pro Gramm ermittelt. Nun hat man die Menge an Aminosäuren, die durchschnittlich in der Mahlzeit vorhanden sind. Diese kann man wieder ins Verhältnis zum Referenzprotein (der benötigten Mengen) setzen.

Das Verhältnis ist, im Vergleich zu anderen Aminosäuren (Sulfur amino acids, Threonine, Tryptophan), für Lysin mit 0,78 am geringsten, weshalb es als limitierende Aminosäure festgelegt wird (blaue Kreise). Durch die Multiplikation dieses Werts mit der wahren Verdaulichkeit (0,85 – orangener Kreis 3) ergibt sich ein PDCAAS von 0,67 (orangener Kreis 4). Ohne die Kombination mit Kichererbsen und Milchpulver hätte das Getreide mit einer wahren Verdaulichkeit von ebenfalls 0,85 einen PDCAAS von 0,37. Im Alter sinkt die tatsächliche benötigte Menge an Lysin auf 45 mg (rote Kreise), weshalb der PDCAAS des Gerichts auf bis zu 0,84 steigen würde.